Geben und nehmen

Kein Lebewesen erscheint von einem anderen wirklich getrennt, wenn man den großen Zusammenhang erlebt, der die Welt ihrem eigentlichen Wesen nach ist. Irgendwie wissen wir das alle. Trotzdem ist es schwer, danach zu handeln. Die ganze Welt scheint in eine andere Richtung zu treiben, in der es zuerst und vor allem um eigennützige Interessen geht. Es soll immer schneller immer mehr sein, was die Wirtschaft abwirft, wobei Wachstum als Segen erlebt wird, während Stillstand oder Rückschritt als Gefahren gelten. Jeder Impuls zu einer Veränderung dieser Hauptrichtung wirtschaftlicher Entwicklung wird sich mit widerstrebenden Kräften konfrontieren müssen, denn es geht um die Macht, die die Profiteure des Ist-Zustandes nicht verlieren wollen. Sogar in uns selbst werden sich Widerstände regen, denn leben ohne gewinnen zu wollen, konfrontiert mit sehr tief verankerten Ängsten vor Verlust und Ohnmacht. Dennoch können wir Menschen den Weg zu uns selbst zurückfinden. Wir brauchen keineswegs darin verharren, durch Geld von der Natur (auch unserer eigenen) entfremdete Wesen zu sein.

Leben wollen und nicht an Geld denken?

 

  Das Wichtigste im Leben ist unbezahlbar. Gesundheit, Freundschaft, Liebe und all die anderen Werte, die uns glücklich und zufrieden machen, gibt es nirgendwo für Geld zu kaufen. Das wissen wir alle und handeln auch danach. Allerdings lässt uns die Geldwelt immer weniger Kraft und Raum dafür. Bedenken Sie noch einmal, dass wir lediglich maximal etwa 15 Prozent unserer gesamten Lebenszeit für vergütete (Lohn-)Arbeit verwenden und wie stark das ganze übrige Leben davon bestimmt wird. Wir lernen in der Schule und absolvieren eine Ausbildung, nur um einen möglichst guten Job ergattern zu können. Dann geben wir unsere ganze Kraft, vor allem auch die des Verzichts, in Tätigkeiten, die wir meistens nicht wollen, die uns langweilen oder im Gewissen beunruhigen – und das nur, weil wir auf das entsprechende Einkommen angewiesen sind. Wir sind durch die Erwerbsarbeit erschöpft und werden vielleicht sogar krank. Und wenn wir dann das Rentenalter erreichen, bleiben uns nur wenige Jahre dafür, uns von diesem ganzen Spuk zu erholen, bevor wir das Zeitliche segnen und sterben.

 

  Wenn sich junge Menschen im Übergang in die Berufswelt fragen, wovon sie in Zukunft leben wollen, meinen sie damit Geld. Das ist angesichts der Verhältnisse, die sie erwarten, verständlich, aber allem Wesentlichen zuwider. Später, nach einigen Jahren in der „harten“ Berufswelt, werden sie das verstehen – so wie Sie und ich. Im Unterschied zu den jungen Menschen realisieren wir vielleicht, wie weit wir uns auf der Jagd nach Geld von den Quellen des Lebens entfernt haben. Die allermeisten Güter und Tätigkeiten, die zur Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse von uns Menschen taugen, sind monetarisiert. Lebensmittel und Gesundheitsleistungen sind in der alltäglichen Welt ebenso nur für Geld zu haben, wie man für eine Wohnung Miete bezahlen muss, zu der dann auch noch die Kosten für Heizung und Strom hinzu kommen...

 

  Zu welch kuriosen Verhaltensweisen das geführt hat, wurde mir im vor ein paar Monaten deutlich: Der Herbst war an Früchten überreich. Hier in Herdecke waren die Bäume voll mit Äpfeln, Pflaumen, Quitten... Und es war fast niemand da, um siezu ernten. Als ich eine Frau fragte, in deren Garten solch wunderbar Frucht tragende Bäume stehen, warum sie das Obst nicht ernten würde, gab sie mir zur Antwort, dass sich das für sie nicht lohnen würde. Die Konserven im Supermarkt seien ja so günstig. Welch Missachtung von Mutter Natur! Und welch ein Ausdruck von Armut, wenn ich mich in der Landschaft hier im schönen Teil des Ruhrgebiets umsehe und die vielen Äcker erblicke, auf denen nichts mehr angebaut wird, um die lokale Bevölkerung zu ernähren, denn Importe sind angeblich billiger, als die lokale, landwirtschaftliche Produktion.

 

  Nun ist es an uns, an jedem einzelnen, mit dieser Situation zufrieden zu sein oder andere Wege einzuschlagen. Sicherlich werden die meisten von uns schnell bemerken, dass wir es nicht mehr wissen, wie man Gemüse anbaut oder Obst einkocht. Die Technisierung unserer Welt hat uns der Kenntnisse, Fähigkeiten und Gelegenheiten zur Selbstversorgung beraubt. Dabei müssen wir es aber nicht bewenden lassen. Wir können die Natur wieder kennenlernen. Kleine Schritte können bereits großes bewirken. Stellen Sie sich wenigstens einen Topf mit Kräuterpflanzen auf den Balkon oder in die Fensterbank, um Pflanzenwachstum direkt erleben zu können. Trauen Sie sich, nach Rezepten aus dem Internet ihre eigene Marmelade aus Früchten zu kochen, die Sie in der Nachbarschaft gesammelt haben. Suchen Sie sich ein Plätzchen, an dem Sie ein kleines, offenes Feuer entfachen können oder stecken Sie bei einem Spaziergang ihre Füße in einen kalten Bach. Kurz: Erleben Sie Natur, obwohl vieles sie genau davon abhalten will, und seien Sie sich darin sicher, dass Sie sich dadurch selbst ganz neu und tiefer kennenlernen werden. Das ist für viele der Anfang des Weges, der zurück ins Leben führt.