Diesseits der Schwelle

Alle Veränderungen und Wandlungen haben Folgen. Dessen sind wir uns sicherlich bewusst. Aber erkennen wir auch, wie sehr und auf welche Weise wir Menschen selbst davon betroffen sind?

 

Im Allgemeinen können wir die durch Industrialisierung und Urbanisierung bedingten Veränderungen der Welt in Bezug auf Art und Methoden unseres Wirtschaftens unschwer mit einer Zuspitzung des Egoismus und der Verteilungsfrage in Zusammenhang bringen. Verteilungsprozesse verlaufen offensichtlich immer weniger friedlich. Begehren und Not indizieren Streit und Kriege, in die bekanntermaßen ganze Völker involviert werden. Das deutsche Verb „kriegen“ hat denn auch eine doppelte Bedeutung: es meint einerseits, „dass man etwas bekommt“ und andererseits, „dass Krieg geführt wird“. Wenn Militärhistoriker auf der Grundlage vorliegender Daten aus heutiger Sicht hochrechnen, wurden auf dieser Erde im Laufe der Zeit 14.400 Kriege geführt, die etwa 3,5 Milliarden Opfer forderten. Wenn man davon ausgeht, dass bis heute etwa 100 Milliarden Menschen auf Erden gelebt haben, ergibt die Hochrechnung, dass ungefähr jeder dreißigste Mensch einem bewaffneten Konflikt zum Opfer fiel. Das ergibt auf den ganzen geschichtlichen Zeitraum eine erfüllte Wahrscheinlichkeit von 3 : 100. Die Grauen des Krieges sind allerdings aufs Ganze gesehen weniger geworden. Untersucht man die letzten 50 Jahre seit heute, sind „nur noch“ 5,4 Millionen Kriegstote zu beklagen. Das wären also durchschnittlich 108.000 Menschen pro Jahr – mal mehr, mal weniger. Eine schreckliche Zahl, kein Zweifel! Aber die Konflikte, die mit Panzern und Kanonen ausgetragenen werden, sind offensichtlich nicht die fürchterlichsten.

 

Im Jahr 2000 überstieg die globale Rate der Suizidopfer nämlich erstmals die der Kriegstoten. Erstmals hatten in diesem Jahr mehr Menschen ihrem Leben aus purer Verzweiflung ein Ende gesetzt, als durch Fremdgewalt in den Kriegen dieser Welt ums Leben kamen. Der Zahl von weltweit jährlich 108.000 Kriegstoten stehen (jedes Jahr) 1 Million Suizidopfer gegenüber. Es ist zudem noch zu berücksichtigen, dass es zehnmal so viele Menschen sind, die einen Selbsttötungsversuch unternehmen, Gott sei Dank aber gerettet werden. Bezüglich der Geburtenrate liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch Opfer eines Krieges wird aktuell bei 1 : 1.000, dagegen diejenige, dass er seinem Leben durch Selbsttötung ein Ende bereitet bei 1 : 100. Damit Sie sich das etwas besser vorstellen können: Alle 5 Minuten stirbt in unserer Welt ein Mensch in einem Krieg, während sich alle 30 Sekunden ein erfolgreicher Suizid ereignet. Man kann die Verzweiflung der Menschen, die ihre Lebensverhältnisse einfach nicht mehr ertragen, ansatzweise zu ahnen versuchen und sich dann fragen, warum genau darüber in den Medien so wenig berichtet wird. Oder, anders gesagt: Während wir die vermeidbaren Grauen all der Kriege beklagen, die uns tagtäglich zur Aufmerksamkeit gebracht werden, ahnen die meisten Menschen noch nicht einmal, dass es ein ganz anderer Krieg ist, der weltweit zehnmal so viele Opfer fordert!

 

So können wir davon ausgehen, dass die Lebensverhältnisse und -erfahrungen im Umkreis der Schwelle hochdramatisch sind. Es ist keineswegs so, dass wir Menschen uns alle in freudigem Aufbruch zu neuen Ufern befinden. Weltveränderungen zeitigen Entwicklungen, die mit voller Wucht auftreffen und uns Menschen in Situationen manövrieren, die nicht einfach auszuhalten und sinnvoll zu gestalten sind. Wendezeiten sind immer auch Entscheidungszeiten. Wohl dem, der sich darauf gut vorbereitet weiß!