Disconnected

Sicherlich lieben Sie es, ungestört arbeiten, lesen, wandern oder was auch immer zu können. Ich fühle mich zum Beispiel irgendwann in einem Strom, wenn ich ins Schreiben gekommen bin, aus dem ich nicht gern wieder herausgehe, solange eine bestimmte Etappe der Arbeit nicht absolviert ist. Aber genau dazu werde ich hin und wieder gezwungen, wenn das Telefon klingelt, ein Besuchstermin wahrgenommen werden muss oder ähnliches geschieht, das auch Sie sicherlich kennen.

 

Wenn es zu Unterbrechungen im gewöhnlichen Arbeitsablauf kommt, dauern diese durchschnittlich nur etwa drei Minuten (ein kurzes Telefonat zum Beispiel). Aber, so wissenschaftliche Untersuchungen, es dauert dann noch weitere dreißig Minuten, bis man wieder im Arbeitsfluss zurück ist. Mit diesem Phänomen beschäftigt sich mittlerweile ein eigener Zweig der Wissenschaft, die „Interruption science“. Die Folgen der Unterbrechungen von Arbeitsflüssen im Sinne des Zeitaufwandes bis zur Rückkehr in den tragenden Fluss kosten Firmen Millionen. Bei Piloten und Pflegefachkräften beispielsweise können die Folgen sogar höchst gefährlich für andere Menschen sein.

Die Schwierigkeit, mit Unterbrechungen tragender Arbeitsflüsse fertig werden zu müssen, steigt mit dem Grad der Komplexität der jeweiligen Aufgaben und dem Umfang des Umfelds. Manager von heute stehen mitunter unter Kommunikationsdauerbeschuss. Immer und ständig kommt etwas oder jemand, der, wenn auch nur kurz, volle Aufmerksamkeit verlangt. Das digitale Zeitalter hat wahre Kommunikationshöllen geschaffen, in denen Aufmerksamkeit und Konzentration rund um die Uhr mit Informationen geradezu überflutet werden. Forscher haben ausgerechnet, dass sich die Kosten des Büro-Multitaskings für die US-Wirtschaft auf jährlich 588 Milliarden Dollar belaufen. Und eine Befragung von 180 Führungskräften aus Deutschland, Großbritannien, Dänemark und Schweden ergab, das für die Beschäftigung mit unwichtigen oder überflüssigen E-Mails sage und schreibe dreieinhalb Jahre der Lebenszeit eines Managers draufgehen.

Dieses Problem der dauernden digitalen Überforderung tritt in der Businesswelt signifikant zutage, ist aber auch in der privaten Welt allgegenwärtig. Hier haben sich unser aller Lebensverhältnisse zunächst einmal so verändert, dass wir, abgesehen von den Wegen von zuhause zur Arbeit oder Ausbildungseinrichtung, täglich durchschnittlich nur noch 15 bis 30 Minuten im Freien verbringen. Im gleichen Maße, wie der Kontakt zur „frischen Luft“ abgenommen hat, nahm das Eingebundensein in die digitalisierte Kommunikationswelt zu. Muße ade! Für diese Entwicklung gilt, dass verhältnismäßig mehr Lebenszeit damit verbracht wird, sich via Smart-Phone oder Internet miteinander zu verständigen, desto jünger die Menschen sind. Die Heranwachsenden von heute gelten als „digital natives“, die es von kleinauf nicht anders erleben und kennen, als ständig und immer digital mit irgendwelchen ihrer Mitmenschen verbunden zu sein.

Die kommunikative Kompetenz hat bemerkenswerterweise sicht- und erlebbar gelitten, obwohl sich die Möglichkeiten des Informationsaustauschs in den letzten Jahren so sehr verbessert haben. Offensichtlich fällt es immer mehr Menschen zunehmend schwer und schwerer, sich anderen gegenüber prägnant und verständlich über die wichtigen Angelegenheiten des Lebens verständlich zu machen. Dabei erschöpft sich Kommunikationskompetenz nicht etwa nur in der Fähigkeit, sich selbst (in Worten) richtig ausdrücken zu können, sondern umgreift auch die Fähigkeiten, die uns in die Lage versetzen, unsere Mitmenschen im eigentlichen Sinne auch zu verstehen. Die Signale, die von Mimik, Gestik und Körperhaltung ausgehen, wollen entschlüsselt sein, bevor man Mitmenschen wirklich gut versteht. Äußerungen des Seelenlebens jenseits der Sprache sind aber, und auch das ist eine Folge der modernen Kommunikationsgewohnheiten, für viele Menschen nahezu nicht (mehr) existent. Sie haben den Kontakt zu ihrem eigenen Inneren offenbar ebenso verloren, wie den zu ihren Mitmenschen.