Wandeln der Welt

Niemand wird länger als einen unbedachten Moment lang daran glauben, dass die Welt fertig, also vollendet ist. So sehr wir alltäglich auch erwarten, dass uns nichts in dem überrascht, in dem wir uns weltlich zuhause fühlen, so sehr ist uns natürlich auch klar, dass nichts bleibt wie es ist. Wir wissen sehr wohl: Die dauernde Veränderung der Welt findet ununterbrochen immer statt. Auch wenn wir das nur phasenweise im Ergebnis realisieren, sind wir uns des andauernden Ereignisses eigentlich bewusst.

 

Zeitenläufe, Wachstumsphasen, Prozesse des Werden und Vergehens, klimatische Ereignisse im Großen wie auch alle Lebensprozesse im Kleinen zeugen vom stetigen Wandel der Welt. Die tatsächlich damit einhergehenden Veränderungen liefern den Ausdruck für jene Entwicklungsverläufe, die wir Evolution zu nennen gewohnt wurden, seit Jean-Baptiste de Lamarck 1809 diese Sichtweise erstmals populär gemacht hatte. Er ging damals fälschlicherweise zwar noch davon aus, dass erworbene Fähigkeiten schlicht von einer zur nächsten Generation vererbt werden, was aber prinzipiell nichts daran ändert, dass fortan an der Richtung der Entwicklung auf eine dauernde Vervollkommnung hin geforscht wurde und wird. Leben bringt, so wissen wir es heute, prinzipiell mit sich, dass sich ständig unendliche, evolutive Veränderungen ereignen.

Seit Charles Darwin gehen (nicht nur) die Biologen davon aus, dass die Prozesse der Evolution auf das Ziel immer optimalerer Anpassungen an die jeweilige Umwelt ausgerichtet sind. Was Entwicklung treibt, sind das Bedürfnis und die Notwendigkeit optimalen und darum überlegenen Verhaltens, dem alle Lebewesen bewusst und unbewusst folgen. Im Ergebnis ereignet sich die Vervollkommnung der Arten. „Nichts in der Biologie ist sinnvoll, außer im Licht der Evolution“, brachte es der Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky 1973 auf den Punkt.

Insofern wir uns als eine Art Lebewesen unter vielen verstehen, werden wir nicht umhin kommen wollen, Evolution natürlich auch auf uns selbst zu beziehen. Was der Mensch heute ist, ist er früher noch nicht gewesen. Das gilt für jede Form des Menschseins, gleichviel ob es sich in bestimmten Regionen unter dort besonderen Lebensbedingungen entfaltet oder ob wir die Menschengemeinschaft als ganze meinen. Fatalerweise begegnen wir aber bald einer Herausforderung, ohne deren Bewältigung wir nicht gut zu wirklich mitweltlichem Erleben fortschreiten können. Diese Herausforderung wird immer dann offenkundig, wenn Natur und Kultur noch unverbunden vorgestellt werden.

Als Mitwelt werden wir noch relativ problemlos alles verstehen können, was uns natürlich umgibt. Den Wald, die Wiesen, die Sonne und den Wind ebenso, wie die wild lebenden Tiere und Pflanzen. Aber wie verhält es sich mit dem Teil der Welt, der ohne uns Menschen nicht da wäre? Wie verhält es sich mit den domestizierten Tierarten, also den Dackeln, Kühen, Hausschweinen, Hühnern und Gänsen? Oder wie mit den Pflanzen, die wir im Laufe der Jahrtausende, unseren Bedürfnissen gerecht, veränderten, also dem Weizen, dem Mais, den Obstbäumen usw.? In ihnen finden sich Natur und Kultur vereint. Wenn wir damit beginnen, die durch uns Menschen kulturschaffend veränderte Natur in unser mitweltliches Erleben und Verstehen einzubeziehen, dürfen wir dann dennoch irgendwann eine Grenze für unser holistisches Erfahren und Akzeptieren ziehen? Etwa wenn wir bei transgenen Pflanzen, Atomkraftwerken, digitalen Netzwerken oder Cyborgs angekommen sind? Wir haben unserer Art gemäß die Welt grundlegend verändert und dürfen, wenn wir aufrichtig bleiben wollen, darüber auch nicht hinwegsehen, wenn wir uns daran begeben, Mitweltlichkeit als erneuerte Gesinnung auszubilden. Die Liebe zur ganzen Welt wird notwendigerweise dann auch Leiden beinhalten müssen, insofern wir uns besonders der Resultate der durch uns ausgelösten Entwicklungen bewusst werden.