Ein "einfach so", das aus der Krise kam

Als LKW-Fahrer ist Phil viel und weit durch Kanada und die USA gefahren. Dabei hat er im Laufe der Jahre so viele Kilometer zurückgelegt, dass er rein rechnerisch die Erde mehrmals umrundet hat. Und dann kam der Schlag: Phil wurde gekündigt. Als LKW-Fahrer mit über 50 Jahren ist es auch in Kanada nahezu aussichtslos, wieder einen geeigneten Job zu finden. Was tun?

 

Nach der Kündigung ging es erst mal bergab mit ihm. Mit dem Verlust der Erwerbsarbeit verschwand auch das Gefühl aus seinem Leben, für etwas nützlich zu sein. Hinzu kam, dass das wenige Geld irgendwann kaum noch zum Überleben reichte: Aus dem Genug war ein Zuwenig geworden. Es ging bald nicht mehr nur um den Verzicht auf besondere Anschaffungen, sondern um Hunger, der nicht mehr zu stillen war. Depressionen machten sich breit, raubten Freude und Freunde. Um dem Zug nach unten zu entkommen, beschlossen Phil und seine Frau Noreen schließlich von der Stadt aufs Land zu ziehen. Dort bieten sich schon mal andere Möglichkeiten für die Selbstversorgung, zum Beispiel genug Land für wenig oder gar kein Geld. Im Internet entdeckten sie eine Bleibe in einem kleinen Dorf direkt an der Atlantikküste. Weit abgelegen, wenig attraktiv und darum preiswert, also genau richtig.

Das Dorf liegt an einem Küstenabschnitt, der „Bay of Islands“ genannt wird. Tatsächlich eine zauberhafte Gegend, paradiesisch schön, aber auch dünn besiedelt. Man könnte sich durchaus nicht weit entfernt vom Ende der Welt wähnen. Im Dorf gibt es einen einzigen kleinen Laden für das Nötigste, ein Feuerwehrhaus und eine kleine Poststelle. Das Logenhaus steht schon lange leer und zum Verkauf, der Kirche im Dorf könnte bald das gleiche Schicksal blühen. Als Phil und Noreen in Moser River ankamen, kannten sie niemanden. Und dann kam bald die Wende: Ein alter, schrottreifer Schulbus auf ihrem neuen Grundstück war es, der ihr Leben komplett veränderte. Das gelbe Ungetüm inspirierte nämlich eine Idee.

 

Die „Association of Drifters and Dreamers“

 

Heute nimmt man im Bus an einem von fünf Tischen Platz. Der Raum ist geschmackvoll und gastlich hergerichtet. Rund herum über den Fenstern kleben Fotos von Gästen. Bekannte und unbekannte Gesichter von Alten und Jungen, Familien, Kindern, Waldarbeitern, Fischern... Die „Association of Drifters and Dreamers“ zeigt auf diese Weise in einer Galerie ihr Gesicht.

Phil und Noreen servieren den Gästen Speisen und Getränke. Frisch zubereitet in der kleinen Küche im Heck des Busses. Vieles steht zur Auswahl, nur eine Preisliste gibt es nicht. Die Bewirtung ist kostenlos. Jeder Gast kann, wenn er will, geben, was er mag. Dafür gibt es eine Kaffeedose mit einem Schlitz im Deckel... Wer irgendwann zu diesem Bus gefunden hat, wird eingeladen, der Gemeinschaft der Drifters und Dreamers beizutreten. Dafür ist zu erklären, dass man ohne Lohn denen Speise gibt, die hungern – so, wie es auch im Bus geschieht.

Inzwischen haben Phil und Noreen über 200 Menschen zu Mitgliedern der Gemeinschaft gemacht. Das hat ihr Leben und das im Dorf merklich verändert. Sie haben alle Hände voll zu tun, arbeiten die ganze Woche hindurch, ohne nach einem Lohn zu fragen – und haben dennoch ihr Auskommen. Im Bus ereignet sich reges Leben. Es ist ein Ort, an dem man sich trifft. Sich erzählt: vom Hummerfang, dem strengen Winter, vom Leben und Sterben am Ende der Welt. So ist in wenigen Monaten ein Netzwerk von Freundinnen und Freunden entstanden, das es vorher so nicht gab. „Warst Du auch schon im Bus?“ Hier treffen sich auch Menschen, die sich vorher aus dem Weg gegangen sind. Phil und Noreen sind keine Unbekannten und Zugezogenen geblieben. Man kennt sie, und sie kennen mittlerweile wohl so ziemlich alle aus dem Dorf, mit ihren kleinen und großen Geschichten aus dem Leben, die „Drifters and Dreamers“, die jetzt wissen, dass sie das sind – und die Botschaft weitertragen: „Gib den Hungrigen wann immer Du kannst, und sieh dabei nicht auf einen Lohn.“