Im Zugzwang des Systems

Jeder Mensch ist auf all jene Gaben angewiesen, die ihm von der ganzen Lebewesenwelt für seine eigene Existenz bereitgestellt werden. Ohne Nahrung, Obdach, Kleidung usw. ist es nicht möglich, als Lebewesen auf Erden zu existieren. Der daraus abgeleitete Bedarf ist ein grundsätzlicher, unumgänglicher.

Als vor etwa 12.000 Jahren die letzte Eiszeit zu ende gegangen war, begann nach und nach die Geschichte der Landwirtschaft. In frühen Zeiten noch eine der Urproduktionen, ist sie bis in unsere Gegenwart hinein zu einem Teilbereich der hochkomplexen, globalen Wirtschaft geworden. Etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt (im Jahr 2007: 47,4 Prozent oder 16,9 Millionen Hektar) und während ein Landwirt vor einhundert Jahren noch Lebensmittel für vier weitere Personen erzeugte, sind es heutzutage bereits 143 (im Jahr 2004). Die Industrialisierung der Landwirtschaft schreitet voran, denn nur 9% der Betriebe bewirtschafteten 2007 52% der landwirtschaftlichen Fläche. Betriebe, die weniger als 75 Hektar bewirtschaften, gelten im allgemeinen als nicht mehr konkurrenzfähig. Der Zuwachs der Produktivität ist enorm. Ist die Erde dazu in der Lage, für unendlich viele Menschen Nahrungslieferantin zu sein? Sind die Methoden der landwirtschaftlichen Produktion nur trickreich genug und die Prozessketten immer mehr maschinisiert und industrialisiert (Damit einher gehend sank der Anteil der in diesem Wirtschaftszweig Beschäftigten in den vergangenen Jahrzehnten von 38 auf nur noch 2 Prozent.), scheint auf den ersten Blick kein Ende in Sicht. Sogar fette monetäre Gewinne sind drin, wenn man jene Erzeugnisse, ohne die niemand von uns existieren kann, entsprechend vermarktet. Man muss nur wissen wie.

Der Produktionswert der deutschen Landwirtschaft belief sich im Jahr 2012 auf rund 47 Milliarden Euro. Ein beachtliches Ergebnis, besonders wenn man darauf sieht, wie damit umgegangen wurde: „Agrarprodukte und Lebensmittel im Wert von fast dreißig Milliarden Euro wurden ausgeführt und damit 1,8 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, teilte die Exportförderorganisation mit. Dabei legten vor allem die Exporte außerhalb der EU zu, der Gefa zufolge um gleich 13,3 Prozent auf mehr als sieben Milliarden Euro. Sie machten damit erstmals knapp ein Viertel der Gesamtausfuhren aus. Die wichtigsten dieser Absatzmärkte waren Russland, die Schweiz und die USA. Besonders starke Zuwächse gab es in Saudi-Arabien und China.“(Quelle: spiegel.de) Diese Zahlen bedeuten im Klartext, dass zwei Drittel des Erzeugten exportiert wurde. Haben wir der Nahrungsmittel von deutschen Äckern für den eigenen Bedarf etwa zu viel? Ganz und gar nicht!

Der Wert der deutschen Importe an Gütern der Land- und Ernährungswirtschaft lag im gleichen Jahr bei 91 Milliarden US-Dollar (darin enthalten landwirtschaftlche Erzeugnisse im Wert von 41 Milliarden US-Dollar), was übrigens einem Anteil von 6,25 Prozent der Weltproduktion entspricht. Wir haben demnach kurioserweise landwirtschaftliche Erzeugnisse im gleichen Wert importiert, wie wir vorher an andere Länder verkauft haben. Vermutlich ließen sich für die erzielten Exporterlöse größere Mengen erwerben, als vorher ausgeführt wurden... Ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln etwa deswegen akzeptabel, weil sie rentierlich ist?

Wenn Sie auf einem Grundstück leben, dass das Anlegen eines Gartens zur Produktion von Gemüse für den Eigenverbrauch ermöglichen würde, wenn Sie sogar über die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen würden, dass zu tun, würden Sie sich die Gemüsebeete anlegen? Erstaunlich viele Menschen, denen ich diese Frage gestellt habe, verneinten – mit der Begründung, dass sich der Eigenanbau wegen der geringen Preise im Lebensmittelhandel nicht lohnt. Einkaufen ist „billiger“ als Eigenanbau! Hinter diesem, zunächst nachvollziehbaren Argument verbirgt sich ein Teufelskreis. Er beginnt damit, dass es für die Landwirtschaft monetär-ökonomisch sinnvoller ist, die eigenen Produkte zu exportieren und solche für den Verbrauch durch die heimische Bevölkerung aus anderen Ländern einzuführen. Das funktioniert mit finanziellen Gewinnen, die auch in diesem Bereich darum möglich sind, weil die Lohn- und Betriebskosten in anderen Ländern niedriger sind als bei uns. Die Bildung der Endverkaufspreise wird dadurch beeinflusst. Der Discountpreis bildet eine Erzeugersituation ab, die vor der eigenen Haustür nicht realisierbar wäre. Eine soziale Ungerechtigkeit, gepaart mit ökologisch fragwürdigem Verhalten gebiert schließlich den Billigpreis, der es Menschen für wenig sinnvoll erscheinen lässt, das benötigte Gemüse auf eigener Scholle anzubauen. Was im kleinen Zusammenhang des privaten Konsums die Entscheidungen bestimmt, trifft ebenso auf die Gesamtsituation zu: Wenn Exporterlöse über den Importpreisen liegen, entsteht ein Gewinn, der tatsächlich auch realisiert wird. Und weil zweidrittel unserer Nahrungsmittel aus solchen Importen stammen, ist es übrigens nahezu unvermeidbar, dass wir alle auch mit unseren Nahrungsmitteleinkäufen jene Spekulation stützen, die wenige bereichert und viele verarmt.