Die uns anvertraute Welt

Wir folgen gewöhnlich immer einer bestimmten Nomenklatur, wenn wir über das Mensch-Welt-Verhältnis befinden, die nicht selten auf dem Gegensatz von Gut und Böse beruht. Aufgrund unserer Bewusstseinsfähigkeiten wissen wir uns dazu in der Lage, darüber jeweils angemessen und situationsgerecht zu befinden.

 

Und so unterscheiden wir dem Leben Hinderliches und Förderliches voneinander. Danach erwählen wir, was uns auf unserem Weg weiterbringt. Zu allem anderen treten wir in selbst gewollte Opposition. Über die Art des Verhaltens selbst entscheiden zu können, zeichnet uns als Menschen aus. Unsere Welt ist aufgrund dieser Tatsache zu dem geworden, was und wie sie gegenwärtig ist. Und nun regen sich bei immer mehr Menschen Zweifel, sowohl am Zustand der Welt, als auch an den Fähigkeiten der Menschen, die die Welt derart verändert haben. Offensichtlich sind wir Menschen mit unseren Möglichkeiten bisher eben nicht gut umgegangen. Verstand und Gewissen haben sich, voneinander getrennt, sozusagen auf unterschiedlichen Hochzeiten vergnügt.

 

Hegen, pflegen – und zerstören?

 

Denken Sie jetzt mal an einen Landwirt, der mit seiner Aufgabe versiert und liebevoll umgeht. Er hat eine persönliche Beziehung zu den Tieren auf seinem Hof, zu den Feldern und Wäldern, die seiner Pflege anvertraut sind. Malen Sie sich in Ihrer Vorstellung jetzt mal aus, wie so ein Mensch seiner Arbeit nachgeht, wie er seinen Blick über die Felder wandern lässt, die Kühe melkt und die Hühner füttert. Und nun stellen Sie sich vor, wie genau dieser Bauer mit einer lärmenden Kettensäge eine über hundert Jahre alte Buche zu Fall bringt, um sie danach zu Brennholz zu verarbeiten, oder wie er eine Gruppe von Schweinen aus dem Stall auf einen Hänger treibt, damit sie schließlich im Schlachthof getötet und verwurstet werden. Wie fügen sich das romantische und das eher spröde, alltägliche Bild vom Landwirt in Ihnen zusammen?

 

Eigentlich finde ich, dass wir die Rolle von uns Menschen, die wir im Zusammenhang der Lebewesenwelt spielen, ganz gut als die eines Landwirtes oder Gärtners verstehen können. Unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten können nicht nur uns selbst, sondern besonders auch anderen Lebensformen und Lebewesen zu Diensten sein. Jedenfalls, wenn wir sie dafür „treusorgend“ einsetzen. Nun ist ein gärtnernder Mensch nicht nur der Hege und Pflege ergeben, sondern auch an möglichst guten Ernten interessiert. Das Wachstum der Pflanzen wird gefördert, damit sie reiche Frucht bringen – die schließlich vom Baum gepflückt werden. Möhren werden aus dem Boden gezogen, Salate von den Wurzeln geschnitten... Wie gehen wir Menschen eigentlich mit der Natur um? Was dem Baum die Säge, ist der Kuh das Schlachtmesser oder der Mücke die Zeitung. Kann man die Natur lieben und sie trotzdem im nächsten Augenblick dennoch zerstören? Wenn sich das auf einen maßvollen Umgang beschränkt, werden wir das unter Umständen bejahen, und auch nicht unbedingt von „Zerstörung“ sprechen. Aber was anderes ist es denn, wenn auf dem Feld das Erwünschte und Nichterwünschte mit der Hacke voneinander getrennt werden? Dass wir verklärend von „Beikräutern“ sprechen, wenn wir Unkraut meinen, ändert an der Tatsache nichts wirklich, wenn es darum geht, dass zur Pflege des einen unter Umständen auch die Beseitigung des anderen gehört. Würde man das verleugnen, ginge man an der Wirklichkeit vorbei. „Daraus, dass etwas zerstört worden ist, folgt noch nicht, dass dies nicht hätte geschehen dürfen. Auch wenn ein Haus naturnah gebaut wird, müssen Bäume ihr Leben lassen oder Steine zerschlagen werden. Damit eine Skulptur aus Stein oder Metall entstehen kann, wird die Erde aufgerissen und verletzt. Wenn Kultur der menschliche Beitrag zur Naturgeschichte ist, kann die Welt nicht so bleiben sollen, als wenn es keine Menschen gäbe. So richtig es ist, in der Umweltkrise dem Überschwang der Veränderung die möglichst weitgehende Enthaltsamkeit von den bisherigen Zerstörungen entgegenzusetzen: Uns so zu verhalten, als wären wir nicht da, scheint mir keine Lebensregel zu sein, die den Sinn des menschlichen Lebens trifft. Wieweit aber dürfen wir um den Preis anderen Lebens leben? Wofür sind wir verantwortlich und wo beginnt die Hybris? Wo scheiden sich Kultur und Zerstörung?“ (Klaus Michael Meyer-Abich „Aufstand für die Natur“, München und Wien 1990)