Die meisten Gesellschaftsspiele basieren darauf, dass es darum geht, „Gegner“ zu besiegen, zu schlagen. Sie liefern Kriegsszenarien im Miniformat, ob mit Plastikfiguren und Würfeln auf Papptafeln oder mit digitalen Avataren und Joysticks in virtuellen Parallelwelten. Sie bilden die Wirklichkeit ab, wie sie im Sinne des vorherrschenden Systems des Geldes gemeint ist und trainieren in Kinderzimmern, Schulklassen, Kneipen und Feriendörfern für den „Kampf ums Dasein“. Kurzweilig geben sich die Spielenden dem Spannungsbogen hin, dem sie eigentlich, wären die Triebe zur Selbsterhaltung noch intakt, mit fliegenden Fahnen entfliehen müssten.
Aus Spiel wird allerorten täglich Ernst, denn der Gang der Weltentwicklung spaltet ebenso in Gewinner und Verlierer, also in solche, denen das System scheinbar ohne Ende monetären Reichtum beschert und in solche, denen dabei auch noch das letzte Hemd genommen wird. Mensch ärgere dich nicht?
Ist es ein unabänderliches Schicksal der meisten Menschen, zur Gruppe der Verlierer gehören zu müssen, weil sich nun mal nicht alle auf der Sonnenseite der globalen Partymeile versammeln können? Unsere Welt ist begrenzt und wir werden als menschliche Weltbevölkerung immer mehr. Etwa 75.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, so vermutet man, überlebten nur 1.000 bis 10.000 Angehörige unserer Art den gewaltigen Vulkanausbruch in der Tobasee Sumatras. Diese kleine Schar, so die Erkenntnislage in der gegenwärtigen Wissenschaft, wurde zum Keim der seitherigen menschlichen Bevölkerung auf Erden. Am Beginn unserer Zeitrechnung, also vor rund 2.000 Jahren, noch 300 Millionen zählend, wuchs die Weltbevölkerung immer schneller an. Seit dem 16. Jahrhundert, in dem 500 Millionen Menschen auf unserem Planeten lebten (die amerikanische Urbevölkerung ging im gleichen Jahrhundert durch eingeschleppte Seuchen von 50 auf 5 Millionen Menschen zurück), verdoppelte sich die Weltbevölkerung jeweils in den Jahren 1804, 1930 und 1975 auf dann 4 Milliarden. Mittlerweile erreichte sie die Zahl von rund 8 Milliarden Menschen. Das Unheimliche daran ist, dass es für alle auf Erden in jeder Hinsicht zu „eng“ werden wird. Das Allokationsproblem wird sich rasant verschärfen, denn wenn alles vorhandene nicht mehr für alle reicht, wen lässt man dann vom Zuwenigen profitieren? Und vor allem warum?
In einer Welt, die so schnell und unumkehrbar auf den Abgrund zu rast, werden die meisten Menschen von den eintretenden Veränderungen schneller mitgerissen, als sie sie noch bei klarem Verstand zu deuten vermögen. Die Systemkräfte wirken wie ein Strudel, der das sinkende Schiff bald mit Mann und Maus in die Tiefe reißen wird. Wohlgemerkt: Ich bin absolut davon überzeugt, dass es entfesselte Systemkräfte sind, die so wirken. Der Zeitpunkt ist längst vorbei, in dem es noch irgendeinem Menschen, ob in guter oder böser Absicht, noch möglich gewesen wäre, den Gang der Ereignisse wie auch immer direkt zu beeinflussen. Was (noch) möglich ist, sind Impulse für einen Wandel, der sich sehr zeitversetzt und sicherlich nicht für alle Menschen auf Erden ereignen könnte. Aber vor allem kommt es natürlich zuerst darauf an, sich möglichst weit vom sinkenden Schiff zu entfernen, um den Gewalten des Strudels zu entkommen, der erbarmungslos in die Tiefe zieht.
Es ist möglich, darum zu kämpfen, zu den Gewinnern im Spiel des Geldsystems zu gehören. Dann wird man, im Bild gesprochen, fatalerweise dorthin schwimmen, wo der Strudel entsteht. Ob das ratsam ist, möchte ich bezweifeln, aber empfohlen wird es von den Repräsentanten des Systems dennoch in blumigen Worten. Thomas Straubhaar, von 2005 bis 2014 Direktor und Sprecher der Geschäftsführung des Hamburgischen Welt Wirtschafts Instituts (HWWI), blickt auf die Veränderungen der Weltgemeinschaft aus seiner Sicht als Ökonom und schreibt: „Der Pessimismus ist mit Händen zu greifen. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis der letzte Greis im Altenheim Europa das Licht löscht und das Abendland in tiefe niemals endende Dunkelheit versinken wird. (…) Wie viel besser sehen die Perspektiven in Ländern der aufgehenden Sonne im Osten einer neuen Welt aus. Da sind die Bevölkerungen jung, und die Zahl der Menschen wird noch lange stark wachsen. Mehr noch: die Aufholprozesse werden für eine stetig zunehmende Kaufkraft der Massen sorgen. Wahrlich blendende Aussichten für steigende Umsätze und Gewinne dynamischer Firmen. (…) Goldgräberstimmung macht sich breit. Bereits wird das pazifische Zeitalter ausgerufen. Das chinesische Reich der Mitte werde das Gravitationszentrums eines asiatisch-amerikanischen Wirtschaftsraums, der Europa zum peripheren Satelliten degradieren würde. Go East, packe deine Sachen, verlasse Europa, ergreife die Chance und mache Geschäfte mit den aufblühenden Landschaften im Osten. Etwas anderes kann man eigentlich jungen Menschen nicht raten.“ (Quelle: welt.de)
Andere empfehlen, sich vom Ort des Untergangs zu entfernen, was dem einsamem Rufen in der Wüste gleichkommt, aber immerhin den einen oder anderen Menschen erreicht. Umdenken wird wohl auch in Zukunft nichts für das Gros der Menschengemeinschaft sein. Es geht beim Wandel erst mal nur um die Wenigen, die für sich ein zukünftig anderes Leben wollen, weil sie sich des Ernstes der Lage bewusst sind. Und da liegt zweifellos eine echte Chance: Es kommt darauf an, Komplemente zum Mainstream zu schaffen, also Lebens- und Wirtschaftsformen, die sich in den kommenden Szenarien als resilient genug erweisen. Hoffen wir das Beste, dass daraus auch Gemeinschaften hervorgehen, die groß genug und darum schließlich auch in der Lage dazu sind, solidarisch für Aufgaben und Herausforderungen einzustehen, die die Möglichkeiten einzelner Menschen übersteigen. Die Menschen in solchen Gemeinschaften werden anders, simpler und basaler leben, als es sich der größte Teil der Menschengemeinschaft zur Gewohnheit gemacht hat. Immer mehr Ökonomen, wie der weit bekannte Wachstumskritiker Niko Paech fordern neue Lebens- und Wirtschaftsformen, immer mehr Aktive in der Degrowth-Bewegung erwarten sie und jeden einigermaßen vernünftigen Menschen betrifft es: „Ich sehe es als Fortschritt, wenn wir uns von der sklavischen Abhängigkeit des Kaufens von Produkten befreien, die ohnehin bald wieder kaputtgehen. Wir müssen uns von einem Teil des Konsum- und Mobilitätsballastes befreien. Wer dem Hamsterrad der käuflichen Selbstinszenierung entkommt, wird unabhängig von Konzernen und steigert sein Selbstwertgefühl. Soziale Kontakte im Zuge der Gemeinschaftsnutzung und des Tausches ersetzen einen Teil der Produktion und erhöhen die Lebenszufriedenheit. (…) Nur Krisen lassen uns spüren, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Denn es ist fraglich, ob moderne Industrienationen allein durch einen Kultur- und Bewusstseinswandel reformfähig werden. Es braucht daher wohl weitere Rezessionen und Zuspitzungen, ehe die Postwachstumsökonomie auf die politische Agenda rückt. Wer aber schon jetzt bescheidenere, sesshafte und teilweise an moderner Selbstversorgung ausgerichtete Lebensstile einübt, wird es einfacher haben und kann gelassen in die Zukunft schauen.“ (Quelle: Niko Paech „Gesellschaft braucht Therapie, nicht Reformen", pressetext.com)
Nochmal: Die Weltverhältnisse als ganze werden in naher Zukunft vermutlich nicht mehr so radikal veränderbar sein, als das Gerechtigkeit für alle die Folge wäre. Dazu sind die Entwicklungen der Spaltung in Armut und Reichtum bereits schon zu weit fortgeschritten. Aber wir können Komplemente schaffen. Es kann gelingen, dass in bestimmten Regionen, in bewusst und frei gewollten Gemeinschaften, jene Gerechtigkeit ihre Chance bekommt, die wir allgemein für die Gemeinschaft der Lebewesen auf Erden gegenwärtig so sehr vermissen.